Das Kind in mir will achtsam morden: Roman (German Edition) by Dusse Karsten

Autor:Dusse, Karsten [Dusse, Karsten]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2020-05-10T16:00:00+00:00

25 WISSEN

»Wissen ist Macht. Vor einem Nichtwissenden, der nicht weiß, dass er nichts weiß, steht der Wissende allerdings ohnmächtig da. Sie können andere nur dann mit Ihrem Wissen bereichern, wenn diese zumindest einen Hauch von Ahnung bezüglich ihrer eigenen geistigen Armut haben.«

Joschka Breitner,

»Entschleunigt auf der Überholspur –

Achtsamkeit für Führungskräfte.«

Ich schlief in der folgenden Nacht wie ein Kind. Wie ein inneres Kind, müsste ich wahrscheinlich sagen. Zwanzig Minuten nach meinem Anruf bei Walter war absolute Ruhe im Park vor meiner Haustür. Eine Wohltat.

Ich war meinem inneren Kind dankbar für den kreativen Lösungsvorschlag.

Mein inneres Kind war mir dankbar, dass ich seinen Wunsch erfüllt hatte. Gemeinsam schliefen wir tief, erholsam und ruhig.

Bis mich am nächsten Morgen das Klingeln an meiner Wohnungstür weckte. Ich schaute auf die Uhr: Viertel nach acht. Sonst wachte ich in der Regel von selbst spätestens um sieben auf.

Ich zog mir meinen Morgenmantel über, schlurfte zur Wohnungstür und schaute durch den Spion. Es war Katharina. Sie hatte zwar ebenso einen Schlüssel zu meiner Wohnung wie ich zu unserem Haus, aber um die Privatsphäre des anderen zu respektieren, klingelten wir, wenn wir nicht sicher wussten, dass der andere nicht zu Hause war.

Katharina hatte augenscheinlich gerade Emily in den Kindergarten gebracht.

»Guten Morgen!«, begrüßte ich sie mit dem Versuch eines Kusses. Statt des Mundes wurde mir eine Wange entgegengehalten.

»Schön, dass wenigstens du ausschlafen konntest«, sagte sie mit einem Blick auf meinen Morgenmantel.

Nein, konnte ich nicht, ein Klingeln hat mich geweckt, murmelte ich mental durch meine Verteidigungsrüstung.

»Ich muss vor dem Büro noch mal aufs Klo. Kann ich einen Espresso haben?«

Ablehnung. Vorwurf. Forderung. Ihr Wunsch nach Klo und Kaffee war wichtiger als mein Wunsch nach Harmonie. Oder Ausschlafen. Mein inneres Kind wachte ebenfalls auf, und es hatte schlechte Laune. Es wollte, dass ich meinen Wunsch auf Ausschlafen verbalisierte.

» Ich kümmere mich drum, wenn sie aus dem Gästeklo zurückkommt «, versuchte ich mein inneres Kind zu beruhigen. Doch dazu kam es nicht.

Während ich verschlafen eine Espresso-Kapsel in die und eine Tasse unter die Nespresso-Maschine stellte und den Knopf drückte, erklang erst ein Schrei und dann ein splitterndes Klirren aus dem Gäste- WC . Bevor ich nachschauen konnte, was passiert war, kam Katharina schon wie eine Furie aus der Toilettentür geschossen.

»Mach das mit deinen Schlampen gefälligst diskreter!«, fauchte sie mich an.

»Was für …?«

Katharina zeigte auf die Weingläser auf der Spüle. Eins davon, das mit einem Lippenstiftabdruck von Laura, nahm sie in die Hand.

»Und das an meinem ersten Arbeitstag nach der Geburt unserer Tochter! Du … du …«

Sie schleuderte das Glas mit einem Krachen in die Nespresso-Maschine. Während die dadurch aufgeschlagene Crema des Kapsel-Espressos noch langsam und ruhig die Küchenwand runterlief, rannte Katharina schon aufgeregt und hektisch die Treppe im Treppenhaus hinab.

Ich war sprachlos. Um zu verstehen, was da geschehen war, ging ich ins Gäste- WC . Ich selbst benutzte es nie. Mein eigenes Badezimmer grenzte direkt an mein Schlafzimmer.

Auf den versiegelten Holzbohlen lagen Splitter der Keramik-Seifenschale. Der Spiegel über dem Waschbecken war zersprungen, aber nicht aus dem Rahmen gefallen. Auf dem mit zahllosen Rissen überzogenem Spiegelglas stand etwas mit Lippenstift geschrieben: Danke für den wundervollen Abend.

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